Auszug aus dem Protokoll des Programmbeirates
Auszug aus dem Protokoll des Programmbeirates zur Bewertung der Berichterstattung über die Krise in der Ukraine durch die öffentlich rechtlichen Fernsehanstalten
(Resümee zur Ukraine-Berichterstattung aus Protokoll 582/ Juni 2014)
Im Juni 2014 hat der Programmbeirat im Rückblick eine Reihe von Beiträgen über die Krise in der Ukraine beobachtet, die seit 2013 im Ersten ausgestrahlt worden waren. Zu diesem methodisch ungewöhnlichen Vorgehen sah er sich veranlasst, nachdem einige Rundfunkräte sowie zahlreiche ZuschauerInnen Kritik an der Ukraine-Berichterstattung im Ersten geübt und dabei vor allem Einseitigkeit zulasten Russlands, mangelnde Differenziertheit sowie Lückenhaftigkeit beklagt hatten.
Der Programmbeirat kam aufgrund seiner Beobachtungen zu dem Schluss, dass die Berichterstattung im Ersten über die Krise in der Ukraine teilweise den Eindruck der Voreingenommenheit erweckt hat und tendenziell gegen Russland und die russischen Positionen gerichtet war.
In einer Reihe von Recherchen - die vor Ort meist unzureichend geleistet wurden - sind wichtige und wesentliche Aspekte nicht beleuchtet worden, obwohl sie für ein Urteil über die Situation essentiell gewesen wären. An vielen Stellen wurde nicht ausreichend differenziert. Doch gerade in solch schwierigen Gemengelagen muss soweit wie möglich und um ein ausgewogenes Urteil zu ermöglichen, auf möglichst hohe Vollständigkeit geachtet werden. Soweit dies in der aktuellen Berichterstattung nicht geleistet werden kann, muss es in den Formaten der Hintergrundberichterstattung, in den „Tagesthemen“, in den Magazinen und speziellen Features, aber auch mit geeigneten Gesprächspartnern und Experten in Talkformaten nachgeholt werden. Folgende grundlegende Punkte, die für die Einschätzung der Ursachen und das Verständnis der Eskalation des Krieges wichtig gewesen wären, fehlten in der Ukraine Berichterstattung im Ersten jedoch oder wurden nur unzureichend behandelt.
U.a.:
- Differenzierende Berichte über die Verhandlungen der EU über das Assoziierungsabkommen, die genauen Inhalte des Abkommens, seine Tragweite und seine Vereinbarkeit mit russischen Interessen.
- Die politischen und strategischen Absichten der NATO bei der Osterweiterung und in der Ukraine-Krise.
- Rolle und Legitimation des „sogenannten Maidanrates" bei politischen Entscheidungen, sein Zustandekommen und seine Zusammensetzung sowie die Rolle der radikal nationalistischen Kräfte, insbesondere Swoboda, in diesem Rat.
- Zustandekommen und Inhalte der Vereinbarung zur Beilegung der Krise in der Ukraine vom 21. Februar, die Ursache für ihr Scheitern, die Rolle von Maidanrat und rechtsnationalen Kräften hierbei.
- Eine kritische Analyse der Rolle von Julia Timoschenko und Vitali Klitschko.
- Ein Feature über die Geschichte der Ukraine, um die tieferen Ursachen für die gegensätzlichen Interessen und damit die Krise in der Ukraine verständlich zu machen.
Nach Ansicht des Programmbeirates wäre in diesem Zusammenhang eine gründlichere Recherche durch die politischen Redaktionen nicht nur notwendig und hilfreich, sondern für eine vollständige Hintergrundberichterstattung im Grunde unentbehrlich gewesen. Es wäre durchaus Raum für Hintergrundinformationen gewesen, und es hätte auch von anderen Orten als fast ausschließlich dem Kiewer Maidan, wie zwischen 19. Und 22. Februar geschehen, berichtet werden sollen. Es hätte über jene Faktoren berichtet werden müssen, die ursächlich zum Entstehen der Krise geführt haben, darunter die Politik der EU, USA und NATO und deren Interessen gegenüber der Ukraine und Russland. Stattdessen wurde die Verantwortung für die Krise fast ausschließlich der Regierung Janukowitsch und Russland, genauer: Putin persönlich zugeschrieben. Differenzierte Berichterstattung war das nicht. Eine gewisse Einseitigkeit ließ sich manchmal auch in der Wortwahl erkennen, im mehr oder weniger unterschwelligen Transport von Meinungen durch die ModeratorenInnen und ReporterInnen sowie in der Auswahl von Berichtsgegenständen, die selbst in der Zusammenschau aller 10 „Ukraine-Brennpunkte“ kein einigermaßen umfassendes Bild der Krise gaben.
Es fehlte ihr an Differenziertheit, Ausgewogenheit und - selbst im Hinblick auf die Kürze der Sendungen - Vollständigkeit. Dabei wäre gerade in den Brennpunkten mit ihrem sehr großen Publikum eine umfassende, objektive und zumindest die wichtigsten Hintergründe aufzeigende Berichterstattung unerlässlich, um die ZuschauerInnen in die Lage zu versetzen, sich eine eigene, fundierte Meinung zu bilden.
Viele Berichterstattungen erschienen fragmentarisch, einige tendenziös, und bei den meisten mangelte es an einer umfassenden sowie die Hintergründe beleuchtenden Berichterstattung. Negativ stach die sehr einseitige, fast schon an die Sprache des Kalten Krieges gemahnende Moderation in den „Weltspiegel“- Ausgaben des BR hervor (1. Dezember 2013 und 2. März 2014), und auch die teils provokanten Fragen im „Bericht aus Berlin“ an die Interviewpartner stießen beim Programmbeirat auf Kritik.
Bei den Talkshows fiel auf, dass die Titel oft antirussische Tendenzen erkennen ließen bzw. den Konflikt auf die Person Putin fokussierten und weder eine mögliche westliche Mitverantwortung am Entstehen der Krise thematisierten noch beispielsweise die demokratische Legitimation der Übergangsregierung oder der Maidanbewegung in der Ukraine infrage stellten.
Die Dokumentation „Zwischen Chaos und Krieg – Wer zerstört die Ukraine?“ vom 19. Mai – neben einer „Weltspiegel“-Sonderausgabe zur Krim-Krise die einzige längere monothematische Ukraine-Sendung im Ersten – hat nach Auffassung des Programmbeirates die Chance vertan, die Entwicklung der Krise in der Ukraine solide darzustellen; stattdessen wurden die ZuschauerInnen mit der Bewertung einer Reihe von Experten konfrontiert, deren Auswahl unklar blieb. Von dieser Dokumentation hätte man sich erwartet, dass gerade hier in der Rückschau die eingangs erwähnten offenen Fragen aufgegriffen würden.
Insgesamt hält der Programmbeirat aufgrund seiner Beobachtung der genannten Sendungen fest: In der Berichterstattung über die Krise in der Ukraine überwog anfangs eine Schwarz-Weiß-Zeichnung zugunsten der Maidan-Bewegung - obwohl hier auch das rechte, extrem nationalistische Lager beteiligt war - zulasten der russischen und der abgesetzten ukrainischen Regierung, denen nahezu die gesamte Verantwortung zugeschoben wurde. Dass der Programmbeirat mit seiner Meinung nicht alleine steht, unterstreicht beispielsweise der Beitrag im NDR-Magazin „Zapp“ vom 5. März: „Ukraine – Berichterstattung durch die West-Brille?“, der über drei Monate „Tagesschau“ und „Tagesthemen“ auswertete und eine deutliche Überrepräsentanz der prowestlichen Sicht auf die Ereignisse ausmachte, daneben aber auch in anderen wichtigen Medien eine einseitige, antirussische Berichterstattung konstatierte. Das heißt, die Berichterstattung in einer Vielzahl von Medien folgte anscheinend einem gewissen Mainstream, dem sich auch die öffentlich rechtlichen Fernsehanstalten anschlossen.
Wir brauchen eine Kampagne für einen guten Journalismus
Die öffentlich rechtlichen Fernsehsender sollten Dienstleiter der Demokratie sein. Dazu ein Auszug aus der Präambel des Pressekodexes:
„Die im Grundgesetz der Bundesrepublik verbürgte Pressefreiheit schließt die Unabhängigkeit und Freiheit der Information, der Meinungsäußerung und der Kritik ein. Verleger, Herausgeber und Journalisten müssen sich bei ihrer Arbeit der Verantwortung bewusst sein.“
„Die publizistischen Grundsätze konkretisieren die Berufsethik der Presse“, sie erheben demnach den Anspruch auf eine wahrheitsgemäße, vorurteilsfreie bzw. unbeeinflusste Berichterstattung, frei von persönlichen Haltungen oder Meinungen.
So wird unter Ziffer 1 gefordert: „Achtung vor der Wahrheit, die Wahrung der Menschenwürde und wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit sind oberste Gebote der Presse.“
Aufgrund von massiven Beschwerden von Zuschauern aus allen Teilen Deutschlands musste sich der Programmbeirat der ARD mit der Berichterstattung des öffentlich rechtlichen Fernsehens zur Ukraine–Krise beschäftigen. Sie kamen nach der Auswertung von 10 „Brennpunkt“ – Sendungen, einer Reihe von Talkshows und von rund drei Viertel der insgesamt mehr als 40 Beiträgen zu diesem Thema in den politischen Magazinen, dem „Europamagazin“, dem „Weltspiegel“ sowie „ttt" gezwungenermaßen zu dem Ergebnis, dass die Berichterstattung nicht nur fehlerhaft, sondern einseitig manipulativ und nicht den Tatsachen entsprechend stattfand.
Mit dem Sprachgebrauch des Kalten Krieges wurde, wie Peter Scholl-Latour in diesem Zusammenhang konstatierte, eine zügellose Hetzkampagne gegen Russland entfacht, die mit einem sauberen Journalismus nicht vereinbar ist und eine vernünftige, friedliche Lösung verhindert. Dieser Journalismus fungiert als Kriegstreiber und ist als solcher zu verurteilen.
Kriegsrhetorik zu wessen Lasten? Ein Europa, das im Streit mit Russland liegt, könnte schnell ein schwaches Europa werden, ein schwacher US-Konkurrent. Alte Feindbilder als Vorlage für neue. Sprache formt Bewusstsein. Ein Bewusstsein, das dann bereitwillig über neue Kriege nachdenkt und entscheidet. Auch unser Bundespräsident ist wohl dieser Kriegstreiberei erlegen, anders lässt sich sein Verhalten hierzu nicht erklären.
O-Ton eines Vertreters der Journaille: „Es ist nie das, was es ist. Es ist nicht einmal das, was es zu sein scheint. Es ist immer das, was man daraus machen kann.“ Alles so verwickelt darstellen, dass jeder eine Meinung haben darf und die Wahrheit nicht sichtbar wird.
Wenn festgestellt wird, dass weder die politischen noch strategischen Absichten der USA/ NATO bei der Osterweiterung und dabei die Einbindung der Ukraine als Brückenkopf dargestellt noch die Rolle der national-faschistischen Kräfte und deren Ziele offengelegt werden, ganz zu schweigen von deren Gräueltaten und Massakern an Zivilisten, dann ist das schon mehr als bedenklich.
Es stellt sich zwingend die Frage, wo das hinführen soll? Oder ist das schon keine Frage mehr? Ist das bereits die Realität, auf die wir eingestimmt, ausgerichtet werden sollen? Dann müssen wir davon ausgehen, dass die Vorbereitung des 3. Weltkrieges begonnen hat.
Wir müssen wachsam sein, sonst wiederholt sich die Geschichte. Und wir brauchen dringend einen guten Journalismus.
Redaktion
von Internetredaktion