Logistische Herausforderungen

Heute sind die russischen Eisenbahnen entlang der gesamten gigantischen Strecke von der Pazifikküste Russlands bis zur Grenze zu Weißrussland fast wie in einem Krieg beansprucht. Im Laufe des Januars mussten ohne Fahrplan und mit maximaler Geschwindigkeit etwa 200 Züge durch ganz Russland fahren. Mit ihnen wurden militärische Ausrüstung und Soldaten mehrerer Verbände des östlichen Militärbezirks zu den Orten der russisch-belorussischen Übung „Vereinte Entschlossenheit-2022“ transportiert. Jeder Zug bestand aus etwa 50 Waggons.

Aus offiziellen Quellen ist bekannt, dass schon Anfang Januar als erste die 38. Selbstständige Garde-Mot.-Schützenbrigade auf der Station Skoworodino, in der Region Amur, verladen wurde. Dann folgte die 155. Selbstständige Marinebrigade der Pazifikflotte aus Wladiwostok. Die Züge mit der militärischer Ausrüstung und dem Personal dieser speziellen Einheiten trafen in der zweiten Hälfte dieses Monats in Weißrussland ein.

Die Marineinfanteristen haben bereits am Bahnhof Polonka, in Belarus, ihre Technik ausgeladen. Laut dem Internetportal „Gemeinschaft der Eisenbahner von Belarus“, sind vom 16. bis 21. Januar mehr als 33 Militärzüge aus Fernost in Weißrussland eingetroffen. Am 14. Januar waren die meisten Teilnehmer der bevorstehenden Übungen noch unterwegs. Unter ihnen waren nach inoffiziellen Angaben beispielsweise die 54. Aufklärungsbrigade und die 165. Artillerie-Brigade aus Belogorsk in der Region Amur, die 104. Aufklärungsbrigade und die 14. selbstständige Brigade der Spezialeinheiten aus Chabarowsk, die 64. selbstständige motorisierte Schützenbrigade aus der Garnison Mlechnik im Gebiet Chabarowsk und die 5. selbstständige Panzerbrigade aus Ulan-Ude.

Warum mussten in das Manöver  „Vereinte Entschlossenheit-2022“ so viele Einheiten aus einer für europäische Verhältnisse so überwältigenden Entfernung eingebunden werden? Wäre es nicht einfacher gewesen, das Manöver auf Truppenteile zu beschränken, die geografisch viel näher stationiert sind? Darauf gibt es nur eine Antwort: Die derzeitige Verlegung einer so großen Truppenmasse wurde vom Generalstab der russischen Streitkräfte angewiesen, um gemeinsam mit dem russischen Verkehrsministerium für den Fall eines großen Krieges die Logistik des Verlegens großer militärischer Einheiten in jede bedrohte Richtung zu erproben. Und hier steht Russland vor einem großen Problem. In der russischen Armee steht es genau mit der Verlegungslogistik schlecht. Bei der hohen Dynamik von Abläufen und Lageveränderungen in einem modernen großen Krieg hat der Generalstab nicht die Wochen oder Monate Zeit, die er heute, wie sich herausstellt, benötigt, um frische Regimenter, Brigaden und Divisionen aus den Tiefen Russlands an die kritischen Frontabschnitte zu verlegen. Denn in einem solchen Fall kann die Bahn theoretisch gar nicht die Hauptrolle spielen, sondern nur die militärischen Transportfliegerkräfte. Was übrigens in der Praxis lange Zeit schon erfolgreich von den Amerikanern demonstriert wird. Einfaches und schnelles Verlegen ihrer Waffen und ihres Personals, nicht nur zwischen Ländern, sondern auch von Kontinent zu Kontinent. Bisher ist das Russland nur in Ansätzen gelungen.

Die kürzlich sehr intelligent organisierte OVKS-Friedensoperation in Kasachstan, die sich auf die militärisch-technische Basis Russlands stützte, hat kaum etwas Ermutigendes in diesem Sinne gezeigt. Für die sofortige Verlegung der Einheiten nach Kasachstan mussten 70 Il-76 und fünf superschwere An-124 „Ruslan“ eingesetzt werden. Aber es handelte sich nur um ein recht begrenztes Truppenkontingent, das verlegt werden musste. Und in Kasachstan fand kein Krieg statt.

Was und wie viel können die russischen Transportfliegerkräfte heute auf dem Luftweg über große Entfernungen schnell bewegen? Laut westlichen Veröffentlichung stehen dem Kommando der russischen Transportfliegerkräfte  insgesamt etwa 11 Staffeln mit Flugzeugen IL-76MD und IL-76MD-90A (etwa 100 Flugzeuge) zur Verfügung, dazu kommen etwa zehn An-124, fünf An-22 und zehn An-26 sowie An-72-Maschinen. Wie viele dieser Flugzeuge werden benötigt, um nur ein verstärktes motorisiertes Schützenbataillon auf einmal von einem Flugplatz zum anderen zu verlegen? Das Bataillon umfasst etwa 60-75 Ketten- und Radfahrzeuge für verschiedene Zwecke. Ungefähr 20-25 IL-76-Flugzeuge werden benötigt, um diese Kräfte zu transportieren. Für den Transfer von etwa 400 Soldaten mit persönlichen Waffen werden drei weitere Maschinen des gleichen Flugzeugtyps benötigt. Insgesamt also fast drei Dutzend schwere Transportflugzeuge für die Verlegung nur eines Bataillons.

Viele Jahre lang hat Russland keine schweren Transportflugzeuge mehr gebaut, aber aus Altersgründen viele ausgemustert. Eines der Probleme war und ist, dass die IL-76 seit den Zeiten der UdSSR in Taschkent, im Werk „Schkalow“, hergestellt wurde. Seit Mitte der 80er Jahre wurden dort etwa 900 Exemplare gebaut. Seit Januar 1992 ist dieses leistungsstarke Flugzeugwerk Eigentum Usbekistans. Was natürlich keine besonders schweren Transportflugzeuge braucht, jedenfalls nicht in solchen Mengen. Infolgedessen begann die Produktion in Taschkent rapide zu sinken. Seit 1999 begann die Flugzeugfabrik sogar anstelle des Flugzeugs IL-76 mit der Herstellung von Kuppeln und Dächern für die im Bau befindlichen Gebäude der Regierung, öffentlicher und religiöser Institutionen sowie Geschäftszentren Usbekistans. Daher nahm Moskau Verhandlungen mit den Usbeken auf, um die Produktion von IL-76 ins russische Uljanowsk zu verlagern. Mit unglaublichem Aufwand und mit viel Geld gelang das erst im Jahr 2010. Gleichzeitig begannen die Arbeiten an einer umfassenden Modernisierung der Maschine zur Variante Il-76MD-90A. Laut Experten handelt es sich um ein viel fortschrittlicheres Flugzeug mit einem von 190 auf 210 Tonnen erhöhten Startgewicht.

Im Jahr 2012 erteilte das Verteidigungsministerium einen Auftrag für die ersten 40 dieser Transportflugzeuge. Und erst dann hatten die russischen Transportfliegerkräfte einen Hoffnungsschimmer, auch wenn es sehr langsam voran ging. Am 2. März 2021 wies Sergei Shoigu, an, jährlich das Produktionsniveau von zehn IL-76MD-90 zu erreichen, weil im Jahr 2020 nur drei fertiggestellt wurden. Aber, 2021 wurden es auch nur fünf.

Im Dezember 2020 wurde in Ivanovo, trotz einer so schwachen Nachschubversorgung, zum ersten Mal seit vielen Jahren ein neues Lufttransportregiment mit 81 Militärtransportmaschinen gebildet. Aber das war nur ein Tropfen auf den heißen Stein! Denn der Rest der noch aus Sowjetzeiten vorhandenen Lufttransporter ist bereits fast vollständig verschlissen.

Bei vielen Flugzeugen der russischen Transportfliegerkräfte, die die Hauptlast der Operation in Syrien getragen haben, haben die Triebwerke ihre Lebensdauer fast erreicht. Von diesen IL-76 sind 50 Prozent noch mit alten D-30KP-Motoren ausgestattet. Auch die Triebwerke D-18Ts der „Ruslan“ sind stark abgenutzt, so dass nur noch acht solcher Flugzeuge gleichzeitig fliegen können. Und die neuen Il-76MD-90 werden, wie bereits erwähnt, mit einer Geschwindigkeit von „einem Teelöffel pro Stunde“ in Dienst gestellt.

Für die anderen  Typen von Transportflugzeugen ist die Situation jedoch noch schlimmer. Insbesondere ist es völlig unverständlich, wenn ein Ersatz des leichten Militärtransporters An-26, der seit 1973 ausnahmslos in der russischen Luftwaffe  geflogen wird, nicht voran kommt. Seit der ersten Hälfte der 2000er Jahre ist die IL-112V als Ersatz dafür geplant. Aber leider ging das schief. Nach langen Konstruktions- und finanziellen Torturen wurde im November 2018 in Woronesh das erste derartige Flugzeug zum Testen übergeben. Und am 17. August 2021 stürzte es bei der Landung auf dem Flugplatz Kubinka ab. Seitdem hat das Verteidigungsministerium, fassungslos über diese Tragödie, nichts über das weitere Schicksal des unglückseligen Projekts hören lassen. Und auf der alten An-26, die immer noch die Nische des leichten Militärtransporters ausfüllt, wird es für die Besatzungen immer abenteuerlicher.

Und so muss man feststellen, dass es außer den Eisenbahnern niemanden gibt, der Verstärkung im erforderlichen Umfang aus Fernost und Ostsibirien an die Westgrenzen des Landes bringen kann. Und das wird, so scheint es, für Russland unweigerlich eine der wichtigsten Lehren aus der Übung „Vereinte Entschlossenheit-2022“ sein.

(Quelle: Ischenko, S., Swobodnaja Pressa, 25.01.21, redaktionell bearbeitete Übersetzung)

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