Lage in Belorussland eskaliert weiter

Die derzeitigen Demonstrationen und Straßenkämpfe vor allem in der belorussischen Hauptstadt Minsk sind Teil des Versuchs, die politische Lage im Land zu destabilisieren. Erkennbar orientiert sich die Regie der mit ausländischen NGOs verquickten Oppositionsbewegung am Muster der sogenannten „Farbrevolutionen“.

Die Programmatik der Oppositionsbewegung zielt auf einen Regime- und System-wechsel, bei dem es westlichen Interessen nicht nur um einen Umbruch der Machtverhältnisse, sondern um die Durchsetzung neoliberaler wirtschaftspolitischer Konzepte und die tendenzielle Herauslösung des Landes aus dem Verbund mit Russland geht. Ziel ist die perspektivische Anbindung des Landes an EU und NATO, auch wenn das von manchen Protagonisten der Bewegung derzeit noch abgestritten wird. Bei solchen Äußerungen geht es offenkundig nur darum, Russland nicht zu provozieren und dessen Eingreifen zu verhindern. Denn die belorussische Regierung könnte bei einer akuten Bedrohung der Sicherheit des Landes Truppen der Organisation des Vertrages über kollektive Sicherheit (ODKB) anfordern (Bündnisfall wie NATO), was selbst die russische Seite sicher nicht anstrebt. Die Aufgabe dieses 2002 in Moskau gegründeten Bündnisses besteht in der Gewährleistung der Sicherheit, Souveränität und territorialen Integrität der Mitgliedsstaaten. Vertragspartner sind derzeit Armenien, Kasachstan, Kirgistan, Russland, Tadschikistan und Weißrussland. Beobachter sind seit 2013 Afghanistan und Serbien. Die ODKB wurde 2003 bei der UNO registriert. Die westlichen Sponsoren und Berater der Oppositionsbewegung sind sich offenbar der Risiken ihres Handelns durchaus bewusst. So verwies etwa die Zeitung „Die Welt“ am 16. August 2020 darauf, dass sich Belorussland auf die Unterstützung durch die ODKB verlassen könne. Im Falle einer externen Bedrohung würde demnach „das östliche Militärbündnis Minsk zur Seite stehen.“ Vor allem aus diesem Grund versucht die belorussische Opposition derzeit, schrille antirussische Töne zu vermeiden – abgesehen davon, dass in der Bevölkerung solche Tendenzen kaum akzeptiert würden.

Wohin die Reise tatsächlich gehen soll, zeigt sich an den Reaktionen der EU-Regierungschefs. Die Nichtanerkennung der Präsidentschaftswahl (trotz westlicher Wahlbeobachter) wird verbunden mit massiven materiellen Zuwendungen (53 Mio Euro) an die Oppositionsbewegung. Dieses Geld wird nach bewährtem Muster in den Ausbau der Organisationsstrukturen, die Medienarbeit und die Logistik der Opposition fließen. Es ist die direkte und aggressive Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines souveränen Staates, wobei Polen und die baltischen Staaten eine Schlüsselfunktion haben.

Sollte es gelingen, Belorussland aus dem GUS-Verbund und der engen politischen, wirtschaftlichen und militärischen Verflechtung mit Russland herauszubrechen, hätte das gravierende Auswirkungen auf die militärpolitische und vor allem militärstrategische Lage in der Region:

  1. 1. Ein Frontverlauf, der von der Barentssee bis zum Schwarzen Meer die gesamte Westgrenze Russlands einschließt und alle militärischen Möglichkeiten eröffnet - eine militärtaktische Situation, die Russland nicht tolerieren kann und darf.
  2. 2. Russland verliert seinen engsten Verbündeten und zugleich wichtiges strategisches Vorfeld (Pufferzone) für die Abwehr eines Angriffs.
  3. 3. Das gemeinsame Luftabwehrsystem müsste aufgegeben werden. Zur Disposition würde auch das Sendezentrum der russischen Marine in Wilejka, im Nordwesten Belorusslands stehen, das unverzichtbar für die Führung der russischen U-Bootflotte ist und sich schon zu Sowjetzeiten dort befand.
  4. 4. Diese Entwicklung würde den geopolitischen Vorstellungen konservativer polnischer Politiker entsprechen. Polen würde bei einer solchen Konstellation zur regionalen Führungsmacht innerhalb der NATO aufgewertet und damit für die Vereinigten Staaten endgültig zum bevorzugten Partner (unsinkbarer Flugzeugträger) in Europa. Litauen und Lettland könnten mit einem westlich orientierten Belorussland an ihren Grenzen ihre aktuell sehr schwierige strategische Situation verbessern. Die Polen und die Litauer vergessen dabei, dass sie damit auch neben Rammstein auch zwingend zum Hauptkriegsschauplatz und damit vernichtet werden.
  5. 5. NATO-Truppen könnten auch ohne formale Mitgliedschaft Belorusslands in der Organisation auf der Basis von Assoziierungsabkommen und bilateraler Vereinbarungen mit Polen und den baltischen Staaten in unmittelbarer Nähe zur russischen Grenze stationiert werden und/oder dort Manöver abhalten – 150 Kilometer vor Moskau. Damit wäre die russische Hauptstadt unmittelbar und permanent bedroht. Ein konventioneller Angriff direkt auf das russische Machtzentrum wäre möglich und könnte wegen der geringen Entfernungen nur schwer pariert werden.
  6. 6. Die Vorwarnzeiten für die Abwehr gegnerischer Raketen- und Luftschläge würden sich für Russland extrem verkürzen. Im Grunde wäre bei einem Überraschungsangriff keine organisierte Abwehr mehr möglich. In der Konsequenz müsste Russland gegnerische Raketenstellungen und Luftwaffenstützpunkte bei Gefahr eines Angriffs präventiv bekämpfen. Eine solche Entwicklung würde die Gefahr eines Krieges maximieren.
  7. 7. Der Zugang Russlands zur sogenannten Suwalki-Lücke zwischen Belorussland, dem Gebiet Kaliningrad, Polen und Litauen wäre nicht mehr gewährleistet. Damit könnte Russland im Angriffsfall den NATO-Nachschub in die baltischen Staaten auf dem Landweg nicht mehr unmittelbar beeinflussen. Die NATO könnte den gesamten Frontverlauf als Aufmarschraum für Angriffsoperationen gegen die nördliche, westliche und südliche Flanke Russlands nutzen. Sankt Petersburg und die Hauptbasis der Baltischen Flotte wären unmittelbar militärisch bedroht. Und Sankt Petersburg wäre der Schlüssel für einen Vorstoß (im Verbund mit Finnland und Norwegen, die Rolle Schwedens ist unklar) durch Karelien bis nach Murmansk, zur Basis der Nordflotte. Historische Vorlagen für ein solches Verfahren gibt es. Und die NATO trainiert seit Jahren im Verbund mit schwedischen und finnischen Streitkräften den Krieg im hohen Norden – so etwa bei der Truppenübung Trident Juncture im Oktober/November 2018 in Norwegen, an der 50.000 Soldaten, darunter 10.000 Bundeswehrangehörige, teilnahmen.
  8. 8. Der Zugang zum Gebiet Kaliningrad würde im Kriegsfall massiv erschwert, weil die Bestrebungen der NATO (einschließlich Schwedens und Finnlands) darauf zielen, Sankt Petersburg seeseitig und auf dem Festland (über Estland) zu blockieren. Kaliningrad wäre damit als Ausgangspunkt für die Macht-projektion Russlands im Operationsgebiet Ostsee aus Sicht der NATO militärisch eher zu neutralisieren. Mit dem Marinehafen Baltiisk im Gebiet Kaliningrad würde die Baltische Flotte ihren westlichsten Stützpunkt verlieren.

Mittelfristig könnte Russland mit militärischen Mitteln zwar dafür sorgen, dass grundlegende sicherheitspolitische Interessen unterhalb der Schwelle eines Krieges gewahrt werden. Das würde aber die Kriegsspirale unberechenbar antreiben, was der Westen sofort für seine Interessen nutzen würde. In jedem Fall würde es Russland in eine Zwangssituation bringen, und daran darf niemand Interesse haben. Wie für jeden Staat ist eine Pufferzone (die letzte verbliebene) unverzichtbar für russische Sicherheitsinteressen, weil sie aus den letzten 500 Jahren, in denen sie immer wieder angegriffen worden sind, gelernt haben.

Wir fordern die politisch Verantwortlichen auf, diese mögliche Eskalation zu verhindern und die traumatischen Erfahrungen der Russen aus dem letzten Jahrhundert zu akzeptieren.

von Redaktion (Kommentare: 0)

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