Die USA werden nicht für die Ukraine und auch nicht für Taiwan kämpfen

US-Präsident Biden erklärte nach dem Gespräch mit Bundeskanzler Olaf Scholz auf der gemeinsamen Pressekonferenz, dass die Gaspipeline „Nord Stream 2“ blockiert würde, falls Putin einen Militärschlag gegen Kiew starten sollte. Ihm zufolge „bedeutet ein Einmarsch Russlands, wenn Panzer oder Truppen die Grenze zur Ukraine wieder überqueren werden, dass es dann kein „Nord Stream 2“ mehr geben wird. Wir werden ihr ein Ende setzen.“

Das bedeutet: Die Amerikaner werden nicht für die Ukraine kämpfen. Und das bedeutet auch, dass auf geopolitischer Ebene die Ukraine mit 44 Millionen Bürgern gegen eine auf dem Grund der Ostsee liegende Röhre aufgewogen wird. Kurz gesagt, wenn es keine Ukraine mehr geben sollte, gibt es auch kein „Nord Stream-2“ mehr.

Bidens Argumentation ist einfach komisch oder zumindest zynisch. Der US-Präsident bietet Putin tatsächlich offen einen Deal an: „Ich gebe Ihnen Kiew und Sie geben mir den EU-Gasmarkt.“ Zwar sagte Scholz, dass die Vereinigten Staaten und Deutschland die gleiche Haltung gegenüber der Ukraine und hinsichtlich der Sanktionen gegen Russland haben, aber er schwieg über die deutschen Ansichten zu „Nord Stream2. „Reuters“ vermutet, dass das ein Grund ist, einschließlich der Gasprobleme und seiner Unfähigkeit, mit der Energiekrise fertig zu werden, warum die Beliebtheit  des Kanzlers sofort um 17 Prozent gesunken ist. Andere westliche Medien, die über das Treffen der beiden Führer der „freien Welt“ berichteten, stellten fest, dass die USA nicht planen, Russland als wichtigsten Energielieferanten der EU zu ersetzen. Der alte Mann im Weißen Haus murmelte nur, dass die Vereinigten Staaten immer noch darüber nachdenken, wie sie Europa helfen können, wenn es notwendig ist, Sanktionen gegen den Energiesektor Russlands zu verhängen.

Die Entwicklung der Situation um die „Putin-Invasion“ in der Ukraine und vor allem die Reaktion Amerikas darauf wird von China genau beobachtet. Für Peking ist das eine Art Roadmap nach Taipeh. Es ist kein Zufall, dass die Internetplattform „National Interest“ die Frage stellte: „Ist das US-Militär bereit, Taiwan zu verteidigen?“ Vor der ukrainischen Krise zweifelte niemand in den Vereinigten Staaten daran, dass Amerika einen Krieg gegen China beginnen würde, wenn das Reich der Mitte seine Insel, die unter dem Schutz der Amerikaner steht, mit Gewalt zurückholen würde. Jetzt scheint sich die Situation geändert zu haben, und zwar so sehr, dass die Versuche der Streitkräfte der Ukraine, den Donbass wieder zu  unterwerfen, zum Auslöser eines militärischen Konflikts zwischen den größten beiden Volkswirtschaften der Welt werden können. Mit anderen Worten, egal welche Sanktionen Washington gegen Moskau verhängt, einschließlich eines Verbots des Verkaufs von Elektronik und Software aus Taiwan sowie der Trennung Russlands von SWIFT und der Sperrung von „Nord Stream 2“: All das ebnet den Chinesen den Weg nach Taiwan. Wenn die Vereinigten Staaten Russland nichts Ernsthaftes entgegenstellen können, dann hat auch das autarke China nichts zu befürchten.

Es ist jedoch nicht so einfach: Die Weltelektronikwerkstatt Taiwan ist weit davon entfernt, eine Analogie zur Ostukraine zu sein. Einerseits sieht China Taiwan, eine Inseldemokratie mit 23 Millionen Einwohnern, als abtrünnige Provinz an, die wieder unter Pekings Kontrolle gebracht werden muss. Der „Taiwan Relations Act“ der UNO von 1979 bestätigt das und verlangt von den Vereinigten Staaten nicht, Taiwan zu verteidigen, erklärt jedoch verschwommen, dass Washington dieses Recht eventuell  wahrnehmen sollte. Anderseits würde die Kontrolle über Taiwan Peking einen wichtigen wirtschaftlichen Vorteil in Verbindung mit einer mächtigen Technologie-industrie, die für die Mikroelektronik von größter Bedeutung ist, verschaffen. Bei der Rückkehr Taiwans würde die VR China Halbleiterfabriken erhalten, die für die Vereinigten Staaten von entscheidender ziviler und militärischer  Bedeutung sind.

Dennoch bereiten sich die USA nicht tatsächlich auf einen Krieg mit China vor, und sei es nur, weil das derzeitige US-Verteidigungsbudget nicht als Vorkriegsbudget bezeichnet werden kann. Und Washington kann es aufgrund seines Geldmangels nicht erhöhen. Noch schlimmer ist die Situation im Hinblick auf die Importsubstitution chinesischer Waren, die bei einem Krieg gleichbedeutend damit ist, den Ast abzusägen, auf dem man sitzt. Die aktuelle Kaufkraft der Amerikaner erlaubt es ihnen nicht, gleichwertige teurere Waren „Made in USA“ zu kaufen.

Heute geben die USA 715 Milliarden Dollar für das Pentagon aus. Wenn man die reale Inflation berücksichtigt, ist es tatsächlich zweimal weniger als im Jahr 2000, als die Vorbereitungen für einen Krieg mit dem Irak im Gange waren, der viel kleiner war als ein eventueller Krieg gegen China. Das US-Verteidigungsministerium hat in den letzten zwei Jahrzehnten doppelt so viel Geld für die Wartung und Reparatur von Militärtechnik ausgegeben wie für den Kauf neuer Waffen. So beträgt Anfang 2022 die Zahl der Schiffe der US Navy 289 Einheiten, aber laut Elaine McCusker und Emily Coletta, Experten des „American Enterprise Institute“, können mehr als die Hälfte von ihnen wegen ständiger Reparaturen nicht in See stechen. Von zehn Flugzeugträgern sind nur sieben tatsächlich einsatzbereit und das Durchschnittsalter aller Flugzeuge der US Air Force beträgt 31 Jahre.

Oriana Mastro von der „Stanford University“ erklärt, dass im Gegenteil China alle seine Ressourcen der Planung und der Vorbereitung auf den Fall eines Krieges in Ostasien widmen kann. Während die USA schon heute die Verantwortung für Kriege und Kriegsvorbereitungen im Nahen Osten, in Europa und in anderen Teilen der Welt tragen. Kurz gesagt, selbst wenn ein Krieg zwischen den beiden größten Volkswirtschaften ausbricht, werden die Amerikaner gezwungen sein, neben China auch beträchtliche Reserven gegen Russland, Nordkorea und den Iran aufzubringen. „Wenn China beschließt, die Insel Taiwan zurück zu holen, sind die Vereinigten Staaten möglicherweise machtlos“, bemerkt die australische Zeitung „The Sydney Morning Herald“. Sollte das China gelingen, dann müssten die USA, um die Chinesen aus Taiwan wieder zu vertreiben, eine sehr große Landeoperation unter dem Beschuss der chinesischen Küsten-Raketen-Artillerie und der Dominanz der chinesischen Luftwaffe durchführen. Auf den ersten Blick hat zwar die US Air Force Luftüberlegenheit mit einer riesigen Flotte von insgesamt 3.500 Flugzeugen, während China laut Stefan Fryuling, Professor an der „Australian National University“, nur 1.264 hat. Aber in Wirklichkeit werden die Amerikaner nicht in der Lage sein, mehr als drei bis fünf Geschwader einzusetzen, da keines der Nachbarländer es wagen würde, seine Luftwaffenstützpunkte für einen Krieg gegen China bereitzustellen. „Noch vor zehn Jahren waren die USA bei fast jedem Szenario dem chinesischen Militär überlegen ….Ich denke, die USA erkennen jetzt, dass sie einen Konflikt mit China verlieren können, zumindest einen nichtnuklearen“, sagt Fryuling.

Die Amerikaner sind gut in Expeditionskriegen geringer Intensität (selbst dann nicht immer), während die Verlegung nur der Hälfte der US-Armee und Luftwaffe in ein Kampfgebiet im fernen Osten bis zu sechs Monate Zeit und astronomische Regierungsausgaben erfordern würde. Vielleicht haben die Vereinigten Staaten die stärkste Armee, aber nicht für einen Krieg an zwei Fronten gegen Russland und China. Und daraus folgt, dass die Vereinigten Staaten, wenn sie nicht für die Ukraine kämpfen, auch nicht für Taiwan kämpfen werden. Es sieht so aus, als hätten die Amerikaner den Kalten Krieg 2.0 zwar noch nicht verloren, aber sie werden ihn sicherlich nicht gewinnen.

(Quelle: Sitnikow, A., Swobodnaja Pressa, 8.02.22, redaktionell bearbeitete Übersetzung)

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